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Beispiel aus dem Lehrbuch der Floppologie: die Eieruhr Praktikus

- 30. März 2010

Die Eieruhr Praktikus, eine Erfindung aus Rees, konnte sich gegen die  Sanduhr nicht durchsetzen. Darüber schrieb ich  einen Artikel für die Neue Rhein Zeitung (NRZ). Kurz vor Ostern hole ich diesen für Sie aus meinem Archiv heraus:

REES.  Ein Verkaufsschlager ist sie nicht geworden, die Eieruhr „Prak­tikus“, die ein Reeser Ar­bei­ter der Ga­le­­nuswerke vor rund 100 Jahren konstruiert hat. Trotz Pa­tent­anmeldung und Abbildung in einem Katalog. So wissen wir zwar heute, wie sie ausgesehen hat,  während alle anderen Infor­ma­tio­nen nur sehr dürftig vor­handen sind. Weder in dem Unter­neh­men noch im Archiv des Rhein­städt­chens be­fin­den sich Konstruk­tions­zeich­nun­gen oder gar ein  Ex­ponat der Reeser Eieruhr.

Dabei  übernehmen Eieruhren nicht nur zu Ostern einen wichtige Rolle: nämlich den Ehe- oder Fa­milienfrieden zu bewahren. Denn schon bei Loriot erfahren wir, zu welchem Drama es führen kann, wenn das Frühstücksei zu weich oder zu hart auf den Früh­stücks­tisch gelangt. Ob diese Erfahrung bei dem Erfinder der „Praktikus“ Pate gestanden hat, können wir heute nur noch vermuten. Eines geht allerdings aus der damaligen Werbung hervor: Wenn man die Kugel oben in eine der Öffnungen der quaderförmigen Eier­uhr gelegt hat, ertönte zur rechten Zeit ein Glockensignal. Dabei konnte man die Öffnung W für weich und HH für halbhart wählen. 3,60 Reichs­mark sollte das gute Stück kosten. Denkt man an die geringen Löhne um die Jahr­hundertwende, ist das vielleicht mit ein Grund dafür, dass nur wenige Exemplare hergestellt wurden.

Dieses vermutete zumindest Dr. Hel­mut Lan­ger, der Schwie­ger­sohn des Apothekers Loos aus Ober-Ramstadt, dessen Ehefrau aus der Gründerfamilie der Ga­lenuswerke stammte. Wil­helm van Galen gründete 1889 das Unter­nehmen, das bis heute be­steht. Herstellungs- und Patentun­terlagen sind entweder bei einem Brand 1930 oder in den Kriegsereignissen vernichtet wor­den. Das ergibt sich aus dem Briefwechsel, den Stadt­ar­chi­var Hermann Terlinden 1976 mit den Galenuswerken und Hel­mut Langer führte.

Aufmerksam wurde man damals auf die Exis­tenz einer Reeser Eier­uhr durch den Brief des Ingenieurs Werner Rüsch aus Hannover. Der hatte Opas Eieruhr, die Praktikus aus Rees, erstanden und inte­res­sierte sich insbesondere für deren Tech­nik. Es war ihm nämlich nicht gelungen, die Uhr aus gebördeltem und gelöteten Weißblech wieder funktionstüchtig zu machen. Dabei kam es vor allem auf die Flüs­sigkeit an, die das Innere der Trom­mel füllt. So viel war sicher: Wasser war es nicht. Die Brief­schreiber rätselten, ob die be­wuss­te Substanz Benzin, Öl oder Glycerin gewesen sei.

Terlindens Nachfragen liefen letzt­endlich ins Leere, denn der Er­finder, ein ein­facher Reeser Ar­beiter, war 1945 ge­storben und hat sein Geheimnis mit ins Grab ge­nommen. Aber vielleicht gelingt es eines Tages doch noch, dieses Reeser Geheimnis zu lüften. (beh)